In den 1870er Jahren errichtete der Unternehmer Gisbert Send (1852-1932) an der oberen Bahnhofstraße in Camberg eine Halle zur Produktion von Essig, der er 1882 das Wohnhaus seiner Familie an der Straßenseite anfügte. Ein Remisenbau aus den 1890er Jahren verbindet die beiden Gebäude.
Das in Backsteinbauweise erstellte Produktionsgebäude hat einen Keller mit einem niedrigen, gemauerten Tonnengewölbe. Das Erdgeschoss zeigt eine Deckenkonstruktion aus sog. Preußischen Kappen auf Stahlträgern, so dass im Obergeschoss ein großer, stützenfreier Raum eingerichtet werden konnte. Die ursprünglichen Rundbogenfenster in allen Geschossen wurden bei Umbauten und der Beseitigung von Kriegsschäden verändert. Vermutlich war das ganze Gebäude außen verputzt. Auf dem Giebel ist das Schild „Essigfabrik von G. Send“ erhalten. In der Remise, die das Wohnhaus mit dem Produktionsgebäude verbindet, befanden sich eine Küferwerkstatt für die Essigfässer und Garagen.
Das Wohnhaus, das zur Bahnhofstraße hin ausgerichtet ist und nach Plänen des Camberger Architekten Lawaczeck errichtet wurde, zeigt eine schlichte und dennoch großbürgerlich-repräsentative Bauweise mit einer gediegenen Ausstattung für die Familie des Unternehmers (Gerstenberg).
In den ersten Jahrzehnten wurden im Produktionsgebäude Weinessig und Weinsprit hergestellt. Während im Erdgeschoss Fässer gelagert wurden, stand im Obergeschoss ein großer Tank für die Fermentation des Essigs. Die Produktionsanlagen dieser Zeit sind jedoch nicht erhalten. Abfallprodukte der Essigherstellung verarbeitete die Firma zu Schuhcreme, die unter dem Namen Sendolin vermarktet wurde. Um 1911 konnte Gisbert Send jedoch offensichtlich gegen die Konkurrenz der Chemieindustrie nicht mehr bestehen, so dass er in der Mineralwasser- und Limonadenherstellung in Niederselters ein neues, zusätzliches Betätigungsfeld fand. Das Familienunternehmen Send wurde bis 1957 geführt, danach wurde das Produktionsgebäude als Werkstatt und Lager von einem Busunternehmen genutzt.
Das für die Gründerzeit typische Ensemble aus Wohnhaus an der Straße und Produktionsgebäude zur Gartenseite mit den notwendigen Nebengebäuden steht seit den 1990er Jahren leer. Pläne zum Abriss der Baulichkeit und zur Neubebauung des Grundstücks wurden nicht realisiert. Seit 2011 gab es einen von Johannes Gerstenberg entwickelten Vorschlag, im Produktionsgebäude ein Kunst- und Kulturzentrum für Bad Camberg zu errichten, der breite Unterstützung fand, der sich aber nicht realisieren ließ.
Im August 2016 wurde die Send’sche Essigfabrik abgebrochen und beseitigt, um dem Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses Platz zu machen. Damit ging ein weiteres Denkmal der Camberger Industriegeschicte verloren.